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Diskussion zu «Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt» von Usama al Shahmani

Der Roman «Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt» von Usama al Shahmani schaffte etwas, was bislang in der Lesezirkel-Community noch nie passiert ist: Er stiess einhellig auf positives Echo. Trotzdem erlaubte dieses Buch vier sehr angeregte und durchaus auch kontroverse Diskussionen.

Der Autor Usama al Shahmani erzählt uns von Dafer, einem aufgeweckten, intelligenten Jungen, der im Süden vom Irak aufwächst und schon früh kapiert, dass er die Worte genau wählen muss: «Er wurde ein guter Schüler, lernte, seine Zunge zu hüten, jeden Gedanken im Kopf so umzuformen, bis er harmlos aus seinem Mund kam. Es war eine nützliche Fertigkeit, aber er fühlte sich nicht mehr nur vom Regime kontrolliert, sondern auch von sich selbst». Und doch werden ihm später, als Student in Bagdad, ausgerechnet die eigenen Worte zum Verhängnis: ein kritisches Theaterstück zwingt ihn, vor Saddams’ Schergen aus seinem Land zu fliehen; über Umwege kommt Dafer in die Schweiz und schafft es, noch einmal ganz unten von vorne anzufangen. Was der gebürtige Iraker als Asylsuchender, Tellerwäscher und Putzhilfe erlebt, wie er sich Schritt für Schritt die deutsche Sprache erschliesst und welche rettende Rolle dabei Literatur und Natur für ihn spielen: davon erzählt uns Usama Al Shahmani in diesem Roman. Unschwer erkennt man darin auch Stationen seiner eigenen Biografie.

Was uns in den Lesegruppen an der Lektüre wohl am meisten faszinierte, war die Art und Weise, wie es Usama Al Shahmani schaffte, eine solch dramatische Lebensgeschichte in einer gleichwohl hoffnungsvollen, zuversichtlichen Stimmung zu erzählen, ohne dabei Dafers’ existentielle Situation zu verharmlosen oder gar zu banalisieren. Trotz schlimmsten Erfahrungen ist sein Romanheld ein Menschenfreund geblieben: nicht anklagend sondern neugierig geht er auf Leute zu. Larmoyante Töne sind ihm ebenso fremd wie moralisierende Schwarz-Weiss-Malerei. Diese edle Haltung durchdringt den ganzen Roman; gleichzeitig spürt man intuitiv beim Lesen, dass dieser Erzähler auf den Schultern der hochpoetischen arabischen Literatur steht.

Al Shahmani wertet nicht, sondern schaut genau hin – und übersetzt diese Beobachtungen anschliessend in eine präzise, unsentimentale Sprache. Er weiss, dass schreiben nicht bedeutet, jede Szene auch emotional mit Wörtern zu füllen; im Gegenteil: die Kunst besteht darin, sprachlich nur den Boden zu schaffen, auf dem die Gedanken und Gefühle dann im Kopf und im Herzen der Lesenden entstehen können. Genau dieser vorbehaltlose Blick kombiniert mit einem differenzierten Wortschatz und einer grossen Kenntnis der arabischen Poesie machen Usama Al Shahmani zu einer wichtigen literarischen Stimme in unserem Land.

Luzia Stettler

5 Kommentare

  1. Ein überwältigendes Buch über die Heimat der Kindheit und Adoleszenz, die Flucht aus diese Heimat und die Suche nach einer neuen Heimat in der Schweiz. Aus Al Shahmanis Erzählperspektive habe ich eine mir bislang unbekannte Welt entdeckt. Über andere Kulturen, über Flucht, über Neuankommen. Und schliesslich auch darüber, wie ein Asylbewerber die Welt erlebt und „meine“ Schweiz wahrnimmt.

  2. Ein äusserst lesenswertes Buch, die Perspektive eines Flüchtenden wird auf so vielschichtige und nachfühlsame Weise geschildert, praktisch ohne Larmoyanz. Für mich war es aber auch ein Eintauchen in das allgemeinere Spannungs-Thema von Heimat, Weggehen, Fremdwerden und trotzdem gestaltet der Protagonist für sich voller Hoffnung eine neue Perspektive. Danke für den Tipp Luzia!

  3. danke dem schriftsteller für das wunderbare, leise und doch so starke wie optisch schöne „büchlein“.
    danke aber auch luzia für ihre kunstvolle zusammenfasung. ……….
    marianne

  4. Ein wunderbares, berührendes und spannendes Buch. Es ist ein Fortschreiben der beiden anderen Romane von Al Shahmani, ein Weiterführen des Themas Flucht-Heimat-Sprache und der Suche nach Verwurzelung. Ich bin sehr gespannt und freue mich auf eine mögliche Fortsetzung im nächsten Buch. Dabei frage ich mich bei der Lektüre immer wieder: „Wie gehen wir in der Schweiz mit den Leuten um, die hier Zuflucht suchen?“

  5. Dieser leise, zarte aber auch hoffnungsvolle Roman hat mich sehr berührt. Es braucht manchmal nicht viele Worte, um eine Stimmung, ein Gefühl zu transportieren. Usama Al Shahmani schafft es hier meisterhaft, in einer neutralen, andeutenden Sprache das Erinnern und die Suche nach einer neuen Heimat den Lesenden nahe zu bringen. Besonders gut gefallen haben mir dabei die Fragmente aus der arabischen Poesie und das Bild der Literatur als Halt und Anker in einer fremden Welt.

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