
Die Ich-Erzählerin ist erleichtert: Endlich sind die Zwillinge ausgeflogen, und sie kann getrost ihr unabhängiges Single-Leben wieder aufnehmen. Das Glück wäre eigentlich vollkommen, würde da nicht plötzlich eine alte Jugendliebe auftauchen und ihren Alltag durcheinander bringen: «Ja, nein, vielleicht» von Doris Knecht hat die Buchclub-Leser:nnen ganz schön herausgefordert … Was will uns die Autorin hier eigentlich mitteilen?
Für mich war der Kern dieser Geschichte von Anfang an klar; da fiebert eine allein- erziehende Mutter – durch schlechte Erfahrungen mit Männern geprägt – ihrer Unabhängigkeit entgegen; und hat sie endlich die nötigen Voraussetzungen dazu geschaffen – Auszug der Kinder, Kündigung der gemeinsamen Wohnung, Rückzug mit Hund aufs Land und Konzentration auf die schriftstellerische Tätigkeit – , genügt eine flüchtige Begegnung in einem Shopping-Center, um ihre feministischen Prinzipien gleich wieder über den Haufen zu werfen.
Friedrich taucht auf
Ausgerechnet Jugendliebe Friedrich, mit dem sie einst das Millennium-Silvester in New York durchgeknutscht hat und dann noch einige Wochen (oder waren es Monate?) bei ihm hängen geblieben ist, läuft ihr zufällig wieder über den Weg. Und schon spielen die Hormone verrückt; soll sie sich wirklich nochmals auf eine «Zweier-Kiste» einlassen, obwohl sie mit Männern doch eigentlich abgeschlossen hat?
«Ja, nein, vielleicht»: Der Buchtitel ist Programm.
Backlash in alte Muster
Ob Friedrich an einer Renaissance der einstigen «amour fou» überhaupt interessiert ist, bleibt bis zum Schluss unklar; Tatsache ist, dass die Ich-Erzählerin im Kopf etliche Szenarien durchspielt, fiebernd auf WhatsApp-Nachrichten wartet und nicht den Mut aufbringt, ihren wiederentdeckten Schwarm einmal direkt anzusprechen, ob er den gemeinsamen Besuch eines Konzerts von Suzi Quatro tatsächlich ernst meint oder nicht. Warum plötzlich so schüchtern? Machen sich da etwa wieder alte Muster des braven, passiven Mädchens bemerkbar?
Das Fahrrad hat Priorität
Nein, Friedrich hat die Einladung zum Konzert nicht vergessen, besorgt rechtzeitig die Karten, aber das Feuer der Liebe will nicht so richtig wieder aufflammen. Die Spontaneität der jungen Jahre ist weg; und als ein Unwetter die Hütte auf dem Land zu überfluten droht, und die Ich-Erzählerin Friedrich am Telefon anfleht, ihr zu Hilfe zu eilen, lehnt er schnöde ab mit dem Hinweis, er sei leider schon anderweitig verplant: Er wolle sich am nächsten Tag auf einem Trödelmarkt ein ganz bestimmtes Fahrrad sichern.
Damit ist das Kapitel Friedrich erledigt; stattdessen entdeckt die Ich-Erzählerin an diesem stürmischen Wochenende den Wert von treuen Nachbarn und Freundinnen: Alle packen an, helfen die Hütte vor dem Hochwasser zu sichern. Und sie ist eigentlich ganz glücklich, dass sie emotional nur kurz ein wenig ausser Kontrolle geraten ist …
Zahnprobleme und Heiratspläne
Ach ja: Natürlich gibt es in diesem Roman noch etliche Nebenstränge, die diese Geschichte vorwärtstreiben: Schwester Paula bittet die grosse Schwester, ob sie in deren kleinen Wohnung in der Stadt für ein paar Tage bleiben kann; und ist ab sofort nicht mehr erreichbar. Als die Ich-Erzählerin deshalb mal persönlich vorbeischaut, knallt ihr ein unwirscher Typ die eigene Wohnungstür vor der Nase zu; zudem plagt sie ein wackelnder Zahn und setzt schlimme Angstphantasien vom eigenen Zerfall in Gang … Und dann ist da noch die enge Freundin Therese, deren zweite Hochzeit ansteht … und mit diesem Schritt deutlich macht: Die Zweisamkeit ist auch im fortgeschrittenen Alter doch keine so schlechte Wahl …
Gegensätzliche Reaktionen
Interessant war in den Leserunden zu erfahren, wie unterschiedlich die Ich-Erzählerin wahrgenommen wurde. Vereinzelt sah man in ihr eine leidgeprüfte Seele, die nie wirklich erwachsen geworden ist; warum sonst würde sie nicht gelassener mit eigenen Unzulänglichkeiten zurechtkommen und dezidierter für ihre eigenen Bedürfnisse einstehen?
Auch die Handlung an sich stiess in den Leserunden auf unterschiedliches Echo: Einige fanden sie eher oberflächlich und wenig spannend; andere amüsierten sich bestens über die vorhandene Selbstkritik der Ich-Erzählerin, die ihre eigenen Schwächen glasklar durchschaut hatte. Und damit sehr wohl vielen aufgeschlossenen Frauen im mittleren Alter einen Spiegel vorhält.
Denn plausibel ist die Geschichte allemal: Vielleicht, weil Doris Knecht hier eigene Erfahrungen literarisch verarbeitet hat?
Luzia Stettler
Das Gespräch mit Doris Knecht vom 1. Oktober war aufschlussreich – und ernüchternd: Ich hatte dem Roman ‘Ja, nein, vielleicht’ fälschlicherweise eine psychologische Deutung aufgesetzt. Es ist kein bösartig gut geschriebenes zweideutiges Werk über menschlichen Selbstbetrug, sondern eine Rechtfertigung für das Lebensmodell, als ältere Frau ohne männlichen Partner zufrieden zu sein. So weit, so banal.
Ich kann es drehen und wenden wie ich will: Der Ich-Figur im Roman nehme ich ihr Glücklichsein nicht ab. Stimmt, es geht nicht um die Gefühle von Männern, wie es uns Doris Knecht gleich am Anfang des Interviews mit Wiener Charme, aber knallhart, erklärt hat. Es geht um einen Menschen, der sich zu Recht gegen Klischees und gesellschaftliche Normen auflehnt, es aber nicht schafft, sich davon zu emanzipieren. Wenn man genau hinschaut, sind es nicht die Männer, welche den schädlichen Druck aufbauen, sondern Frauen: Die Mutter. Die Schwestern. Freundinnen. Die Ich-Frau selbst.
Der Kampf gegen konservative oder, etwas konzilianter ausgedrückt, konventionelle Rollenbilder bleibt eine der schwierigsten Herausforderungen unserer Zeit. Ich finde es schade und kontraproduktiv, ihn durch die Mann-Frau-Brille zu betrachten, denn so werden neue Klischees und Apriori zementiert. Als (einziger) Mann in der Runde habe ich mich nach wenigen Minuten gecancelt gefühlt: Was ich auch fragen und anmerken wollte, hätte vermutlich nur das Vorurteil bestätigt, dass Männer nicht verstehen, warum sie Frauen schaden. Oder, und dazu habe ich kein Recht, die Person Doris Knecht kritisiert, die unentwirrbar mit ihrer Identität als (feministische?) Kolumnistin und der Ich-Figur in ‘Ja, nein, vielleicht’ verbunden scheint.
Danke an die Mitleserinnen, die einige Schwachstellen des Romans sorgsam-kritisch hinterfragt haben. Als jemand, der seit drei Jahren selbst Romane und neuerdings auch einen Blog schreibt (www.gedankenzug.ch), bin ich kein typischer Leser: Ich analysiere ein Buch aus kritischer Autorensicht und lasse mich nicht so einfach von der Handlung entführen. Mein Roman ‘Destination Dreamworld’ ist zudem eine Art Gegenentwurf zu ‘Ja, nein, vielleicht’: Eine Kampfansage an Klischees und Konventionen, eine Hommage an die Liebe. Kopf, Hormone und Herz. Gleichberechtigte, nicht gleichmacherische Beziehungen, bei denen die Gefühle des potenziellen Partners oder der Partnerin eine Rolle spielen. Dieser Kontrast hat mich, um das Wort aus dem Roman zu verwenden, etwas aus der Komfortzone gebracht. Aber das hat auch sein Gutes.
Destination Dreamworld? Ja, ich bin siebenundsechzig und habe auch ein paar Kratzer und Beulen abgekriegt. Von anderen Menschen. Mann oder Frau? Egal. Und ich habe die eine oder andere Person verletzt oder enttäuscht. Ja, nein, trotzdem: Ich erlaube mir noch, zu träumen. Für die Jungen, nicht für uns Ü55. Wenn wir resignieren: Tant pis. Sie dürfen es nicht.
Ich habe „Ja, nein, vielleicht“ mit grossem Vergnügen gelesen. Die Ich-Erzählerin war mir von Anfang an sympathisch, wie eine Freundin, die offen erzählt, wo sie im Leben steht. Gerade weil sie sich nicht ständig selbst rechtfertigt, fand ich sie so authentisch. Manche Passagen waren so treffend formuliert, dass ich sie gleich zweimal lesen musste. Viele ihrer Gedanken haben mich wirklich berührt und zum Nachdenken gebracht.
Für mich ein ehrliches, kluges und zugleich leichtes Buch – genau das Richtige für den Spätsommer (und das meine ich durchaus doppeldeutig).
Der florale, farbenfrohe Bucheinband sprach mich sofort an. Für die Autorin war er allerdings anfangs problematisch, da schon ihr vorheriges Buch ein Blumenmotiv trug. Sie empfindet diese Gestaltung als klischeehaft für ein Frauenbuch.
Die bunten Arrangements auf dem Cover spiegeln den Schreibstil des Buches wider, der für mich an ein Potpourri aus Kolumnen erinnert.
Auch ich habe eine leise melancholische Stimmung gespürt, die mir zum Inhalt passend erscheint: körperliche Schwäche (etwa die Zähne), das Wohnen am Wasser und auf dem Lande, in einem Wochenendhaus, ein wildromantischer Garten, vergangene und eher enttäuschende Lieben.
Die Autorin fängt sich auf, atmet durch, beginnt bewusster zu leben, findet sich selbst und fühlt sich wohl in der neu gewählten Lebensform. Mit diesem Buch möchte sie ein Statement für das Alleinleben als Frau mittleren Alters setzen.
Parallel dazu lese ich von Daniel Schreiber, Allein. Er beschreibt, dass Alleinleben oft als persönliches Scheitern gedeutet wird, während das Paarleben als „gelungen“ gilt. Doch Alleinsein und allein leben erfordern viel Energie und Selbstbewusstsein.
Die Melancholie im Roman interpretiere ich so, dass die Autorin Nähe, Geborgenheit und Liebe sucht, sich danach sehnt und sie zugleich vermisst. Gleichzeitig ist ihr bewusst, dass eine Partnerschaft ihren Lebensstil einschränken könnte. Am Ende des Romans zeigt sich jedoch, dass auch andere Formen von Gemeinschaft möglich sind: Freundschaften, die Solidarität der Nachbarn – Nähe und Geborgenheit, ganz ohne klassische Liebesbeziehung.