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Diskussion zu «Haie in Zeiten von Erlösern» von Kawai Strong Washburn

«Haie in Zeiten von Erlösern» enthält für mich all das, was ich an den grossen US-amerikanischen Fabulierer:innen wie etwa John Irving, Meg Wolitzer oder Jonathan Franzen so schätze: eine packende Familiengeschichte, glaubwürdige Figuren, gesellschaftliche Relevanz, gute Sprache, wechselnde Perspektiven und immer wieder überraschende Twists.

Was aber hier einen zusätzlichen Reiz ausmacht, ist nicht nur das faszinierende Setting von Hawaii, sondern auch der Background von Kawai Strong Washburn: Er teilt – zumindest biografisch – das Schicksal seiner jungen Heldinnen und Helden. Als gebürtiger Hawaiianer mit polynesischen Wurzeln, aufgewachsen an der Küste von Big Island,  ist er eng mit den Mythen und der Kultur seines Volkes verbunden; und er spürte wohl zunehmend bei sich selbst, wieviel davon in all den Jahrzehnten der amerikanischen Kolonisation vernichtet und verloren gegangen ist. Genau diese schmerzliche Erfahrung von Verlust und Vergessen mag ihn vielleicht regelrecht zu dieser Geschichte gedrängt haben.

So erkläre ich mit jedenfalls den Grund, warum sie auch so authentisch rüberkommt. Kawai Strong Washburn gibt uns in seinem Roman Einblick in die Spiritualität und Geschichte der hawaiianischen Urbevölkerung und zeigt gleichzeitig die Zerrissenheit der jungen Generation, die vielleicht einige Legenden und Vorstellungen ihrer Vorfahren noch kennt, aber den Glauben daran längst verloren hat. So gesehen ist «Haie in Zeiten von Erlösern» topaktuell, weil hier Menschen zum Teil brutal erkennen müssen, dass uns der moderne Lebensstil auf Dauer nicht weiterbringt, sondern nur die Rückbesinnung auf altes Wissen und die Sorge zur Natur Rettung versprechen.

Echo im Lesezirkel

Die Diskussion im Lesezirkel hat gezeigt, dass der Text ganz viele unterschiedliche Annäherungen ermöglicht: Den einen gefiel vor allem, wie der Autor uns an den Dramen und Erfolgen der Familienmitglieder teilhaben lässt; die Vorstellung, dass ein Haifisch einen 7-jährigen Jungen rettet statt frisst, fanden sie eher befremdlich. Andere fühlten sich gerade von den hawaiianischen Mythen angesprochen, die zum Teil auch Parallelen zu christlichen Legenden ermöglichen (Jona und der Wal). Dritte schätzten die atmosphärischen Natur-Schilderungen auf den Inseln. Einig war man sich in der Runde, dass Kawai Strong Washburn ein hervorragender Erzähler ist und nicht missioniert. Selbst wer sich vom spirituellen Teil der Geschichte nicht sonderlich angesprochen fühlt, kommt bei der Lektüre voll auf die Rechnung. Ein Rätsel ist für alle nur der Titel geblieben: «Haie in Zeiten von Erlösern» (Original: «Sharks in the Time of Saviours»). Oder hat jemand dafür eine Erklärung ?

Luzia Stettler

2 Kommentare

  1. Welches Bild habe ich eigentlich von Hawaii? Für mich ist Hawaii eher amerikanisch geprägt und ich habe weiße Sandstrände und eine überbordende Natur, Surfer und Hula tanzende Menschen vor Augen. Wie falsch dieses Bild doch ist, habe ich gemerkt, als ich den zweiten Roman im digitalen Lesezirkel gelesen habe. Im Roman lernt man die andere, realitätsnahe Seite von Hawaii kennen, nämlich Desillusion, Entfremdung von der eigenen Kultur und die Hoffnung auf ein besseres Leben fernab der Heimat. Wie die Suche nach der eigenen kulturellen Identität eine Familiendynamik verändern kann, wird im Buch sehr gut gezeigt. Die Geschichte wird aus wechselnden Perspektiven erzählt, was das Erzählte abwechslungsreich macht, zum Teil aber auch verwirrend ist. Der Roman ist spirituell angehaucht; dies finde ich ein passendes Element, um den Lesenden die traditionelle Kultur voller Mythen näher zu bringen. Was mich persönlich gestört hat, waren die zum Teil vulgäre und lapidare Sprache und der fehlende Spannungsbogen. Die Geschichte und die Figuren blieben eher blass und ich konnte keinem Charakter wirklich nahekommen. Lediglich der Schluss, der zeigt, wie die alten Traditionen und die moderne Welt zusammenfinden können, hat mich dann wieder versöhnlicher gestimmt.

  2. Für mich steht in diesem Roman eindeutig die Geschwisterbeziehung im Vordergrund und die Frage, welche Auswirkung unbewusst Bervorzugung eines einzelnen auf das System Familie haben können. Es geht aber auch um Wurzeln, Entwurzelung und die Kraft, die Menschen aus einer Besinnung auf die Herkunft sowie Tätigkeiten ziehen können, die sie begeistern, in denen sie vollkommen aufgehen.
    Hawai lässt keinen der Geschwister los, alle kehren zeitweilig zurück, fühlen sich von der alten mythengesättigten Natur angezogen.
    Der Roman ist auch ein Buch über das Scheitern und Weitermachen.
    Ich konnte mich der Intensität des Textes kaum entziehen und habe dieses tief traurige Debüt voller hoffnungsvoller Momente verschlungen.

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