Diskussion zu «Susanna»

«Da war dieses Mädchen. Ich wünschte, ich hätte sie gekannt»: Mit diesem allerersten Satz hat Alex Capus die Leserinnen und Leser sofort am Wickel; er macht klar: diese Figur ist etwas Besonderes. Und die Susanna, die ich dann auf den nächsten knapp 300 Seiten kennenlerne, erfüllt für mich das grosse Versprechen. Mir gefällt Susannas‘ unkonventionelle Art, wie sie munter und unbeirrt ihren eigenen Weg geht; ohne ideologischen Hintergrund, eher verspielt, frech und immun gegen jegliche traditionellen Rollenvorstellungen nutzt sie Gelegenheiten, die ihr ein freies, selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Schon mit fünf Jahren sticht sie dem Pferdekutscher Morgenthaler «in einem Akt entschlossener Notwehr» mit dem rechten Zeigefinger das linke Auge aus. Später muss sie im Schlepptau ihrer unsterblich verliebten Mutter von Basel nach New York umziehen, wird Porträtmalerin und erobert auf ihre Weise die USA des späten 19. Jahrhunderts.

Echo aus dem Lesezirkel

In den Diskussionen war man sich einig: Der Einstieg des Romans macht neugierig. Leider vermochte der Autor die hoch gesetzten Erwartungen bei vielen Leserinnen nicht bis zum Schluss aufrecht zu erhalten. Allgemein wurden Sprache und Erzählstil von Alex Capus gelobt. Vor allem die Schilderungen der historischen Entwicklungen, die Susanna hautnah miterlebte, gefielen: sei dies die Premiere von Edison’s Glühbirnen, als die Brooklyn Bridge eröffnet wurde, – für die Einheimischen eine Sensation, denn erstmals wurde es in New York auch nachts hell. Oder entscheidend auch die Erfindung der Fotografie, die für Susanna im genau richtigen Moment geschah: da die ersten Fotos noch unscharf waren, schlug ihre Stunde als Porträtmalerin; mit dem Bild als Vorlage gab sie den verschwommenen Gesichtern eine Identität. Umstritten in der Runde war die Reise der älteren Susanna mit ihrem Sohn Christie ins Dakota-Territorium zu Sitting Bull. Es gab Stimmen, die lieber ganz auf diesen Aspekt verzichtet hätten; andere fanden: wenn schon, dann bitte ausführlicher. Spannenden Gesprächsstoff lieferte auch die Frage, ob wir einen Roman anders lesen, wenn wir wissen, dass die Geschichte vor einem realen Hintergrund erzählt wird; Susanna Carolina Faesch wurde tatsächlich unter diesem Namen am 4.12.1844 in Basel geboren.
Nein, ob Fakt oder Fiktion spielt keine Rolle, war mehrheitlich die Haltung: es zählt einzig und allein, was der Autor literarisch aus einer Roman-Figur macht und ob sie glaubwürdig rüberkommt. Nicht alle wurden mit Susanna warm: einige hätten sich mehr Emotionalität vom Autor gewünscht; andere hingegen lobten gerade diese Distanz, die mehr Spielraum zuliess fürs Kino im Kopf.
Luzia Stettler

3 Kommentare

  1. Susanna ist eine junge und kluge Frau, die sich nicht in die für sie vorgesehene Rolle als Frau
    drängen lässt. Sie ist unabhängig, bestimmt und ihrer Zeit voraus.

    Der Roman lässt die Zeit von damals aufleben und in die Figuren sehr schön einfühlen.
    Die Fotografie kam gerade auf und fasziniert die Leute. Viele merken aber, dass die Fotos
    kühl und gestellt aussehen und lieben somit umso mehr die realistische Malerei der Protagonistin.
    Sie aber nutzt die Fotografie auch für Ihre Vorteile, wie auf Seite 132 sehr schön zur Geltung kommt: „ Ich schlage vor, wir lassen von jedem von uns sechs Bilder machen“ sagte Susanna „Dann bekommt jeder von jedem eins. Ich bezahle“.

    Und somit hat sie sich Ihre Models erkauft, ohne Ihr wissen. Was für eine kluge Frau, die weiss was sie will und wie sie es bekommt. Und dabei bleibt sie dank Ihrem Erfolg immer unabhängig von Arbeitgebern oder einem Ehemann.

    Eine weitere schöne Bemerkung findet sich auf Seite 155 als die Golden Gate Bridge soeben mit der Weltneuheit, der Glühbirne von Edison erleuchtet wurde: „Aber die Glühbirnen waren doch nur Glitzerkram und Firlefanz. Sie machten die Nacht nicht wirklich zum Tag und würden der Menschheit keine Erleuchtung bringen, sondern verlängerte Arbeitstage bis tief in die Nacht hinein.“

    Aber das Buch bietet noch so viel mehr schöne Lesemomente, wie der offene Schluss bei der Begegnung mit Sitting Bull, lässt viel Platz für eigene Gedanken. Ein lesenswertes Buch!

  2. Es gibt seltsame Brüche in dieser schwungvoll, leicht ausufernd erzählten Geschichte, die mich ein bisschen an Karl May erinnert. Und deren Titel „Susanna“ noch mehr über dieses hoch interessante Frauenleben zu versprechen scheint. Gegen Ende des Romans, auf Seite 228, als sich Susanna in den Wilden Westen aufmachte, möchte der Autor „zu gerne wissen, was Susanna Faesch veranlasste, plötzlich fortzugehen.“ Wir Lesenden möchten das auch.
    Zu Beginn, auf Seite 55, nach der Fremdenlegion-Geschichte, weiss der Autor unheimlich viel, denn „Auf den ersten Blick mag es scheinen, als ob diese Ereignisse ohne Belange gewesen wären für Susanna Faesch. Tatsächlich hätte aber eine winzige Änderung genügt […], und die Geschichte wäre ganz anders verlaufen.“
    Ich bin sicher, dass der Historiker Capus mehr über die Beweggründe von Susanna, Sitting Bull zu suchen, hätte sagen können. Stand da dem Historiker der Romancier Capus im Wege?

  3. Für mich ist die Mutter von Susanna der heimliche Star der Geschichte. Sie ist aus dem Korsett ausgebrochen, hat ihr sicheres Netz verlassen und ist nach Amerika gereist. Dass dies aber ganz so einfach war wie beschrieben kann ich mir nicht so richtig vorstellen. Ich wäre den Figuren – und vor allem Susanna – gerne nähergekommen.
    Die historischen Szenen – wie die Brooklyn Bridge eröffnet wird, die Edisons Glühbirnen auf den Markt kommen – finde ich atmosphärisch beschrieben und gefällt mir wie die diese Ereignisse in den Alltag der Geschichte von Susanna fliessen.

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