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Diskussion zum Roman «Leuchtfeuer» von Dani Shapiro

In einer Sommernacht 1985 steigen drei Teenager in ein Auto; am Steuer der minderjährige Theo. Die Spritzfahrt endet für Misty tödlich; Theo und Sarah, zwei Geschwister, werden ein Leben lang unter der Last der Mitschuld leiden müssen. Das ist der Stoff, aus dem Dani Shapiro ihren Roman «Leuchtfeuer» gestaltet.
Das Buch polarisierte in den Lesezirkeln: Zu konstruiert, zu kitschig, zu oberflächlich fanden einzelne; andere lobten den spannenden Plot, die warmherzigen Charaktere und das tröstliche Ende.

Die Autorin Dani Shapiro, die bereits elf Bücher geschrieben hat, ist in den USA auch Gastgeberin eines sehr erfolgreichen Podcasts; «Family Secrets» heisst er; kein Wunder also kennt sie sich aus in dunklen Geheimnissen, die ganze Generationen beeinträchtigen.

«Wir reden nicht darüber»

Vor diesem Hintergrund ist wohl auch die Idee zu «Leuchtfeuer» entstanden. Denn wir Leserinnen ahnen schon zu Beginn: Es ist keine gute Idee von Mutter Mimi, unmittelbar nach dem Horror-Crash ihrer Kinder den Befehl herauszugeben: «Darüber reden wir besser nicht.» Aus Selbstschutz, wie sie meint. Und wohl auch in der verzweifelten Hoffnung, dass ein Schweigen die bisherige Idylle auch in Zukunft sicher stellt.
Aber das Gegenteil ist der Fall: Dieses Tabu sorgt dafür, dass die einzelnen Mitglieder der Familie Wilf erst recht in ihrem schlechten Gewissen zu ersticken drohen und den seelischen Ballast stumm durchs Leben schleppen.

Nagende Schuldgefühle

Sarah fühlt sich schuldig, weil sie es war, die Theo den Autoschlüssel gegeben hatte. Dass sie dann gegenüber der Polizei behauptete, selber am Steuer gesessen zu sein, bringt ihr keine Erleichterung. Theo bleibt so zwar von juristischen Folgen verschont, kennt aber innerlich halt doch die Wahrheit. Selbst Vater Ben, ein Arzt, hadert mit seiner Rolle in jener denkwürdigen Nacht. Er kam als erster auf die Unfallstelle, als der Wagen ungebremst in die alte Eiche vor ihrem Haus geknallt war. Dass er dann die schwer verletzte Misty aus dem Wrack gezogen hat, wird er sich nie verzeihen können; als Mediziner hätte er doch wissen müssen, wie riskant eine solche Aktion sein kann. Das Mädchen hätte zwar so oder so nicht überlebt; aber wer sich schuldig fühlt, kann zuweilen sehr streng mit sich selber ins Gericht gehen. Auch davon handelt dieser Roman.

Waldo wird geboren

Immerhin verdankt dann eine weitere Hauptfigur genau diesem Arzt sein Leben. Am Silvesterabend 1999 setzen bei Nachbarin Alice vorzeitig die Wehen ein, und Ben schafft es, Waldo auf dem Küchenboden sicher auf die Welt zu bringen. Auch Waldos Werdegang werden wir fortan begleiten: Ein hochsensibler, überintelligenter Junge, der nur eine Leidenschaft kennt: die Astronomie. Über eine App studiert er auf seinem Laptop stundenlang die Sternbilder und Galaxien. Und wir werden Jahre später auch noch miterleben, wie Waldo als Professor Karriere macht. Vorher, noch als Kind, wird er aber eine entscheidende Rolle in einem weiteren Notfall spielen: Bens Frau Mimi, mittlerweile an Alzheimer erkrankt, verschwindet spurlos; und dieses Mal ist es Waldo, der als Retter auftritt.

Raffinierte Zeitreisen

Dani Shapiro lässt uns Lesende wie Sternschnuppen zwischen den Jahrzehnten und Schauplätzen hin-und herfliegen und zieht im Hintergrund raffiniert die Fäden: Mal schauen wir Spitzenkoch Theo über die Schulter, mal schwitzen wir mit Waldos Vater Shenkmann auf der Rudermaschine oder lauschen einen zärtlichen Dialog zwischen Mimi und Ben.
Alles passiert zeitgleich: Die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; jeder strampelt für sich, – und doch ahnt man, dass alles irgendwie miteinander zusammenhängt; es ist ein Geben und Nehmen, ein Hoffen und Zaudern, ein Spiel von Ursache und Wirkung. Jedes Schicksal gleicht einem Leuchtfeuer am Himmel, das kurz aufglüht, bevor es wieder in die Unendlichkeit des Alls abtaucht. So gesehen sind auch unsere Fehler und Versäumnisse auf Erden relativ und verzeihbar. Das mag vielleicht kitschig tönen; aber in sich macht dieser Trost in Dani Shapiros warmherziger Geschichte durchaus Sinn. Und ich staunte, wie lange der Zauber nach der Lektüre noch nachhallte.

Luzia Stettler

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